Bharatpur

Indische Infekte haben’s, wie gesagt, in sich: Abwechselnd denken wir, jetzt ist die Klimax überschritten, jetzt geht’s aufwärts —, da ereilt uns ein neuerlicher Rückschlag und zwingt uns, unsere Park-Exkursionen für mehrere Tage auszusetzen. Wenigstens wird’s allmählich wieder wärmer. Wir verdösen Stunden auf der Couch in der Pergola vor unserem für die Hitze gebauten Zimmer, in dem rund um die Uhr Kellertemperatur herrscht: Butter und Käse bleiben knochenhart.

Birgit   Achim

Von früh bis spät krächzen, kreischen, schwätzen und schimpfen die Papageien in den Bäumen, quietschen die Seven Sisters unterm Gesträuch, durch das bescheiden und unauffällig das Indische Rotkehlchen hüpft, turteln schlanke, zart schillernde Tauben auf den Gartenpfaden, während hektische Palmhörnchen hysterisch zwitschernd auf Mauern entlang oder Hauswände hinauf und hinunter hetzen. Von einem Baumwipfel herab lässt ein Drongo seinen melodischen Ruf hören. Drongo Jäh stört ein alter Makakka-Mann das Idyll, hat sich unbemerkt an mir vorbei ins Zimmer geschlichen, und Birgit, aus dem Bad kommend, ertappt ihn, wie er gerade die mächtigen Hauer in unsere 3-Kilo-Papaya schlägt. Als Birgit ihn anschreit, bleckt er drohend das Gebiss und treibt sie ins Bad zurück, ich komme barfuß mit leeren Händen angerannt, was ihn wenig beeindruckt. Immerhin lässt er von der Papaya ab, steigt gemächlich durchs Fenster hinaus und beeilt sich erst, als Ashok, vom Lärm alarmiert, mit einem Küchenmesser nach ihm wirft. Junger Makakka Erst kürzlich hatten wir Glück im Unglück: Von unserm fest an der Wand vertäuten Bund Bananen konnte er, ebenfalls von uns gerade noch rechtzeitig überrascht, nur eine einzige abreißen, muss sich übrigens gehörig erschrocken haben, denn er hinterließ mitten im Zimmer einen anständigen Haufen. (Unser Bild zeigt natürlich ein juveniles Aeffchen.)

Gleich zu Beginn unseres Aufenthalts haben wir uns einen Gaskocher zugelegt, damit wir nicht auf unser morgendliches Porridge, so wie wir es mögen, zu verzichten brauchen und auch sonst nicht völlig von Restaurants abhängig sind. In dem besseren Viertel, wo sich auch die Hotels und Lodges befinden, gibt’s jedoch keine größeren Läden (so was wie Supermärkte oder Kaufhäuser sind in Indien ohnehin weitgehend unbekannt) und natürlich auch keine Apotheken. So müssen wir halt hin und wieder mit dem Fahrrad nach Bharatpur-City, wie so viele volkreiche indische Städte eher ein lärmiges, staubiges Megadorf mit einigen Sandstein-Moscheen, Hindu-Tempeln und -Schreinen als Landmarks und endlosen, engen, grellbunten, lebendurchwimmelten, tausend Gerüche verströmenden Bazaar-Straßen, wo unmittelbar neben dem Laden, der die Mala, die bekannten Blütenketten fertigt und verkauft, der Spengler von früh bis spät unter ohrenbetäubendem Hämmern das Blech zu Eimern, Truhen und allerlei Küchengeräten schlägt, oder neben dem zur Straße hin offenen, schmuddeligen Warteraum der Notfall-Klinik voller mehr oder minder elend aussehender Patienten ein Möbeltischler in gleichfalls offener Werkstatt mit dem neuen Elektrohobel unermüdlich Bretter und Kanthölzer glättet. Dazu das niemals verstummende durchdringende Hupen der Motorroller, Auto-Scooter und Mopeds, das Geklingel zahlloser Fahrräder und Cycle-Rickshaws, das Geschrei der Gemüsehändler, Tonga-Kutscher und Führer der Kamel- und Ochsenkarren und, nicht zu vergessen, das angesichts westlicher Touristen sicher niemals verstummende Hello! und Hi! What is your name? und Which country? der Kinder, Halbwüchsigen und geistig jung Gebliebenen.

Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir in dem Gewusel, wo das Recht des Stärkeren die Straßenverkehrsordnung ersetzt, vor allem keine älteren FußgängerInnen anfahren und bei Überholmanövern nicht selbst unter die Räder des entgegenkommenden Verkehrs geraten, denn die Spur wird selten eingehalten. (Auch vergessen wir immer mal wieder, dass Linksverkehr herrscht, aber das passiert durchaus auch Einheimischen.) Bharatpur Nur ein Mal streift Birgit einen Mann, der ihr jedoch, als er die Ausländerin erkennt, durch Neigen des Kopfes gnädig verzeiht. Korpulente Besserverdienende mit ebensolchen Motorrädern schieben dieselben rücksichtslos in den fließenden Verkehr — wehe dem, der ihnen einen Kratzer beibringt! Junge Damen der Mittelschicht fahren plaudernd auf Mopeds gemächlich nebeneinander und verursachen hinter sich regelrechte Staus; nur ganz zaghaft versuchen Rickshaw-Puller, sie darauf aufmerksam zu machen, während sich ein Stück weiter rückwärts ein ohrenbetäubendes Hubkonzert erhebt, ebenso als eine Dampfwalze mitten am Tag eine gerade asphaltierte Fahrspur befestigt und der Verkehrsstrom, der auf der gesamten Breite kaum Platz fand, unversehens auf die halbe eingeengt wird. Vorübergehend bricht Chaos aus, der Lärm schwillt infernalisch an, doch nur wir schauen griesgrämig bis gequält, alle anderen nehmen’s gelassen und freuen sich über die Verbesserung des Straßenzustands.

Endlich ist der Apotheken-Abschnitt erreicht, wir entscheiden uns für die mit dem seriösest dreinblickenden Inhaber und obwohl wir nur Dispirin und Paracetamol wünschen, werden wir ins Innere des Verkaufsraums gebeten, mit Çay bewirtet und in extenso über Deutschland, unsere wirtschaftliche Situation, Lebens- und Einkommensverhältnisse etc. befragt, und mit echter Besorgnis lässt uns der Apotheker wissen, es sei ihm zu Ohren gekommen, dass bei uns die Geburtenrate rückläufig sei. Unser Achselzucken und unbefangenes Einbekenntnis eigener Kinderlosigkeit rufen ehrliche Bestürzung hervor. Dass jedoch selbst im relativ wohlhabenden Rajasthan, wohin man immer blickt, Kinder durch menschenunwürdige Arbeit regelrecht verschlissen und verbraucht werden; dass andererseits die Arbeitslosigkeit unter der erwerbsfähigen Bevölkerung um ein vielfaches über jener in Deutschland liegt (die übrigens ungläubiges Erstaunen erregt); dass das offenbar nicht zu bändigende Bevölkerungswachstum Indiens zu den ökologischen und ökonomischen Schäden und zur Erschöpfung der natürlichen Ressourcen des Landes — an erster Stelle des Wassers — zumindest beiträgt: all das gerät dazu nicht in Widerspruch. Wir verkneifen uns, mit dem Hinweis, auch hierzulande verzichteten bereits Paare mit höherem Einkommens- und vor allem (Aus-)Bildungsniveau aufs Heiraten und Kinderkriegen, vergeblich gegen das so simple wie fest gefügte Weltbild unseres Apothekers anzurennen.

Diese Art Exkursion ist jedenfalls bedeutend anstrengender als eine zehnstündige in den Park; wir fühlen uns schlagskaputt und sterbenskrank, und die Medikamente erweisen sich als absolut wirkungslos. Der Wirkstoff pro Einheit, regelmäßig nur ein Bruchteil dessen, was sich in einem vergleichbaren, bei uns erhältlichen Präparat findet, wird offenbar noch zusätzlich gestreckt. — Wir hoffen sehr, dass wir uns morgen endlich wieder aufs Rad schwingen und den Ghana durchstreifen können…

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Katrin Koch - 31. Jan, 02:50

Geier

Hallo Ihr beiden- seid Ihr wieder auf´m Posten?
Der Geier "With backed Vulure" - (Gyps africanus), auf deutsch Weißrückengeier, ist auch in Südafrika selten- aber immerhin noch vorhanden. Im Krüger-Nationalpark konnten wir ihn beobachten.
Der von Euch beobachtete Uhu ist nicht der europäische Bubo bubo, es könnte sich aber um Bubo bengalensis oder deutsch - Indischer Uhu - handeln.
Weitere Kommentare erspare ich mir, ist mir die indische Fauna doch weitgehend unbekannt.
Passt auf Euch auf- und immer Fahrradwerkzeug mitführen und Hustensaft!!!
Viele Grüße von Katrin

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