Indian Cold

Von für deutsche Verhältnisse bereits hochsommerlichen Temperaturen hatten wir in Mails an die daheim unter der russischen Kaltfront Zitternden geschwärmt, doch Ashoks Prognose erwies sich als zutreffend: Die zumindest nächtliche Kälte ist auch hier zurückgekehrt. Zum Dinner qualmt im Wok neben der Tafel auf dem Fußboden wieder ein Holzfeuerchen, um das sich vor und nach dem Mahl alle scharen; im Cyber-Café dagegen stehen die Türen offen, damit man die aus allen Lautsprechern schallenden Wedding-Songs ja nicht verpasse. Wenn die Geschwindigkeit mal wieder unter 1 KB/sec sank, sich keine Seite mehr öffnen mochte und uns den Schweiß auf die Stirn trieb, hockten unserzwei gleich manch anderen Touris bisweilen dennoch im T-Shirt vorm Rechner, doch Ashok hatte geraunt: "The Indian Cold goes deep inside", und auf die Replik "…and stays there for one month" nur lapidar geantwortet: "Minimum!"

Seit einigen Tagen sind wir also erkältet, und es kommt uns hart an, morgens um sieben mit dampfenden Mündern und allen warmen Klamotten übereinander in den Park zu radeln, aber anders als die Rickshaw-Puller und die dürren Pendler, die den Weg durch den Park als Abkürzung nutzen, haben wir wenigstens welche, während jene zumeist die immer gleichen dünnen Sachen tragen, vielleicht eine Decke überwerfen und sich nur unter allen Umständen, so als litten sie Zahnschmerzen, den Kopf mit einem Tuch bandagieren.

Bald nach der 2. Schranke, wo sich die Angestellten vor ihrem Wärterhäuschen an einem Feuerchen wärmen, verlassen wir den Hauptweg, stellen unsere Räder in einer ausgetrockneten Suhle ab und marschieren durch Steppe und Buschland auf die Baumsavanne im Westen zu. Die Familien der Wachtelfrankoline (Gray Partridges) können wir schon seit Tagen nicht mehr finden; dafür flitzen kleine Gruppen von Laufhühnchen eins hinter dem andern und so schnell, dass man die Beinchen nicht sieht, von Deckung zu Deckung. Schwarze Drongos auf einem toten Baum wollen mit ihren Frackschwänzen um diese Stunde, da die Sonne fahlrot aus dem Nebel steigt, Trauer verbreiten, aber ein Pärchen Flammenrücken-Spechte, an der Spitze des schrundigen Stammes einander gegenüber, hat diese Stimmung gleich vertrieben. Für die Kamera wollen die beiden leider nicht auch noch posieren. Gelbbrauen Laubsänger Ein vor Kälte zum flauschigen Ball aufgeplusterter Gelbbrauen Laubsänger wechselt munter zwitschernd zwischen trockenen Büschen und dem Boden hin und her —, da schrecken wir unter einem zornigen Grunzen heftig zusammen: Wildschweine mit hochgestelltem Kamm treiben ihre Frischlinge dicht an uns vorüber. In der Entfernung ein sehr misstrauischer Neelgai-Bulle mit gleich drei Damen; es nützt nichts, sich in Zeitlupe näher heranzupirschen: ein Ästchen knackt, und die Gruppe ergreift geschlossen die Flucht. Wildschweine Um warm zu werden, schreiten auch wir jetzt tüchtig aus, müssen aber immer wieder anhalten, um uns Dornen, die glatt bis in die Fußsohlen dringen, aus den Sandalen zu ziehen. Auf einem dürren Busch ein Rotschulterwürger (Bay-backed Shrike), der uns nicht sehr nahe heran lässt. Aus Burma und Tibet kommen je verschiedene Arten von Würgern hierher; die einheimische Art nennen die Inder Butcher Bird.

Je weiter wir uns dem Wald nähern, umso lauter das Geschrei der Papageien, die von bestimmten Bäumen jetzt reifende gelbe Früchte ernten. Ein Sittich lugt aus einer Höhle wie aus einem Köcher. Alexandersittich Dazwischen das charakteristische Schnarren des so häufigen wie schönen Indian Roller, der gern auf abgestorbenen Bäumen sitzt. (Im Deutschen wurde ihm der reichlich merkwürdige Name „Hindu-Racke“ verpasst.)

Es geht auf zehn. Endlich beginnen die Sonnenstrahlen, richtig zu wärmen, doch noch mögen wir uns von keinem Kleidungsstück trennen, lagern uns auf einem knochenglatten Stamm und beobachten am Himmel kreisende Buntstörche und Adler, wobei wir uns bei diesen selten über die Art einigen können. Hellauf begeistert sind wir, als in einer recht großen Baumhöhle unversehens ein putziges Brahma-Käuzchen (Spotted Owlet) erscheint, mit großen Augen in die Runde und zu uns rüberblickt, sich zu putzen beginnt, in seiner Höhle verschwindet, um gleich wieder aufzutauchen, sich schließlich so in den Eingang hockt, dass es möglichst viel Sonne abbekommt und sachte einnickt. Die vier Käuzchen, die wir vor ca. einer Woche auf der östlichen Seite beobachten konnten, haben wir seitdem nicht mehr wieder finden können. — In einem mächtigen Sissoo-Baum startet immer wieder ein über taubengroßer Vogel von seinem Ast — feine Grautöne auf Kopf und Oberseite, hell- und dunkelbraun schraffierte Bauchseite und schwarz-weiß gestreifte Unterseite seines relativ langen Schwanzes —, dreht geräuschlos eine Pirouette, landet, startet aufs Neue: vielleicht ein Indischer oder ein Wechsel-Kuckuck? Besonders scheu ist ja auch der hiesige Heckenkuckuck nicht, den man überall trifft und für eine braunflügelige Krähe halten könnte.

Weil wir uns nicht bewegen und der Wind günstig steht, passiert uns der Blue Bull mit seinem Harem in kaum zwanzig Meter Abstand, biegt gemächlich den Kopf mit den spitzen Hörnchen weit in den Nacken, um sich Blätter aus einer niedrigen Baumkrone zu holen und lässt dabei seinen weißen Halsfleck blitzen. Dennoch gefallen uns die Damen mit den ausdrucksvollen dunklen, immer wachsamen Augen, den schwarz-braun-weiß gestreiften Ohrmuscheln und dem karamelfarbenen Fell um einiges besser, schon weil ihre großen, schlanken Köpfe einfach in günstigerem Verhältnis zum Körper stehen.

Hinter einer Baumreihe schimmert ein Weiher, an dessen schlammigem Ufer wir uns kurz auf mitgebrachten Plastiktüten niederlassen, um Uferschnepfen und Rotschenkel beim zweiten Frühstück zuzuschauen, doch als uns trotz Sonne wieder fröstelig wird, kehren wir zu unseren Rädern zurück und statten dem Uhu-Nest nahe dem Hauptweg einen Besuch ab. Junger Uhu Das eine Junge, das sich blicken lässt (es seien nach wie vor zwei, beruhigen uns die Guides), hat weiter zugelegt, fast alles Weiß aus dem Gefieder verloren und scheint uns schon wie seine Mutter aus großen melancholischen Augen gleichmütig-gelassen zu betrachten, doch leider ist die Entfernung zu groß, als dass unsere Digi mit den Lichtverhältnissen zurechtkäme. — Erstaunlich dabei ist, dass trotz aller Bemühungen der Guides nur eine Minderheit der BesucherInnen das Nest überhaupt entdeckt und besonders solche aus westlichen Ländern, wenn sie es nicht auf Anhieb finden, das Interesse auch schon verloren haben und sich lieber über die grünen Beine des Paddy Reiher amüsieren. Englische Vogelfreunde erzählen wiederum, dass der eurasische Uhu keinesfalls irgendwie gefährdet sein könne, da er sich ja gerade anschicke, die britischen Inseln zu erobern, was von Teilen der dortigen Landbevölkerung gar nicht gerne gesehen werde...

Rose Pelikane   Bread-Pakhora

Unterdessen kreuzt die Pelikan-Staffel am Himmel, und wir zählen tatsächlich wieder genau 31 Vögel, darunter sechs Junge mit noch altrosafarbenem Schnabel, hellgrauem Gefieder und dunkelgrauen Schwingen. — Auch die Chittal haben Junge, die noch ohne Fleckenzeichnung sind, um Weihnachten herum geboren sein müssen und auf den Inselchen schon selbständig kleine Erkundungstrips unternehmen dürfen.

Nach dem Bread-Pakhora-Lunch in der Park-Kantine (Toast mit Gemüseaufstrich und Teigumhüllung im Wok frittiert, dazu süß-scharfes Mango-Chutney und im absolut dicht aus getrockneten Blättern geformten Einweg-Schüsselchen serviert) kaprizieren wir uns auf die niedlichen Zwergtaucher Zwergtaucher im westlichen See, die einen nur selten nahe herankommen lassen und immer dann abtauchen, wenn Birgit gerade den Auslöser drückt. Erinnern die Schwanzfedern des Erpels nicht an einen Petticoat? — Wir amüsieren uns gerade darüber, dass ein fast ausgewachsener Spoon Bill auf dem Wasser unablässig mit nickendem Heben und Senken von Kopf und Schnabel seine genervte Mutter verfolgt, bis sie ihrem halberwachsenen Sprössling doch noch einige Fische hervorwürgt, Mutter anbettelnder Spoonbill als wir weiter westlich, wo der See allmählich verlandet, zu unserem Entsetzen ein knappes Dutzend einheimischer Frauen dabei beobachten, wie sie mit langen Bambusstangen, an deren Enden Hackmesser oder Haken befestigt sind, mit Brachialgewalt aus den Bäumen gesunde wie tote Äste herausbrechen und herunterreißen, wobei sie sich immer wieder nach allen Richtungen umschauen.

Oft zerren die Frauen zu dritt an der Stange und wippen aus Leibeskräften minutenlang, ehe der Ast endlich krachend nachgibt. Ganze Haufen von Ästen haben sie bereits aufgeschichtet, und als eben ein weiterer Baum vorgenommen werden soll, brüllt Achim englische und Hindi-Brocken hinüber, dass die Frauen damit aufhören sollen. Zunächst schrecken sie auch wirklich zusammen und halten inne, doch dann wird ihnen klar, dass es sich nur um irgendeinen verrückten Angresi handelt und sie machen mit verdoppeltem Eifer weiter. Das alles geschieht kaum einen halben Kilometer vom Parkzentrum entfernt, doch die Touristen, die wir in unserer Aufregung ansprechen und darauf aufmerksam machen — Polen, Italiener und Franzosen — nehmen uns offensichtlich nicht ernst, sondern eilen zu einer Schar Kinder, die ein Stück weiter ebenfalls mit Stangen Bäume mitsamt den Fruchtzweigen von jenen gelben Früchten befreien, die auch vielen Vögeln munden und beschenken sie, nachdem sie genug Fotos gemacht haben, mit Bonbons, und die Buben mustern höhnisch Achim, der ihnen gerade vergeblich klar zu machen versuchte, dass es sich hier um einen Nationalpark, um eine Refugium für Tiere und Pflanzen handelt und dass die Früchte für die Vögel und ausnahmsweise mal nicht die Menschen bestimmt sein sollten.

Holzdiebstahl   Baumfrevel   Der nächste...

Wir fahren weiter auf einem schmalen Damm zwischen Seen, können uns gar nicht recht über das Pärchen Common Hornbills mehr freuen, das unversehens auf einem Ast landet und sogleich wieder auffliegt, gelangen wieder in Wald und treffen noch mancherorts Kinder beim Ernten und Frauen beim Ausästen.

Zweifellos sind diese Dinge der Parkleitung bekannt, aber abseits des Hauptwegs trifft man so gut wie nie auf irgendwelche Angestellte, Ranger oder sonst jemand Offizielles und wenn doch, dann sind es schlecht bezahlte untere Chargen, die sich bei unserem Auftauchen gemeinsam mit den HolzsammlerInnen in die Büsche schlagen. Spießenten Kurz bevor der Park abends um sechs schließt, wird einem — wiederum nur auf dem Hauptweg — von auf dicken Motorrädern herumfahrenden oder dort joggenden wohlgenährten Beamten bedeutet, dass man sich schleunigst zum Ausgang zu begeben habe, wenn man sich nicht eines "Vergehens" schuldig machen wolle. — Wegen der mehrjährigen Trockenheit sind die Bäume einer langen schmalen Allee, die wir früher oft entlangfuhren, fast ausnahmslos verdorrt und ragen, von allen Ästen und Zweigen entblößt, schwarz und gespenstisch gleich Dutzende verkohlter Masten auf.

Rajasthan ist der wohlhabendste Bundesstaat Indiens und hält sich viel für seine Wildlife Protection, Nature Conservation etc. zugute, kassiert ausländische Besucher wie erwähnt auch ohne große Skrupel ab (man höre z. B. derzeitige BesucherInnen des Nationalparks Ranthambore, wo man uns schon vor zehn Jahren regelrecht abgezockt hat, als in anderen Parks Ausländer und Einheimische noch gleich behandelt wurden) und erhält andererseits Unterstützung von bedeutenden internationalen Naturschutzorganisationen, kurz: es müssten die Mittel zur Verfügung stehen, um die lokale Bevölkerung entweder in die Natur- und Landschaftspflege einzubeziehen oder etwaige Einkommensausfälle zu kompensieren. Die Viehherden, die tagtäglich in den Park hinein- und abends wieder hinausgetrieben werden, gehören jedenfalls mit Sicherheit keinen armen Bauern.

Ashok rät uns, beim Park-Direktor vorzusprechen, dem die Dinge natürlich wohlbekannt seien, aber erst wenn sich Besucher immer wieder darüber beschwerten, bestünde die Chance einer Änderung.

Riesenstorch   Paddy-Reiher   Buntstorch

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Katrin Koch - 30. Jan, 01:42

Grüße an Birgit und Achim

Hallo Ihr Beiden, Euer Tagebuch ist ja super- wir sind eben erst zurück aus Afrika - wir haben Euch über den Ozean herzliche Grüße nach Indien geschickt!!!
Ich kann noch gar keinen Kommentar zu den interessanten Berichten abgeben- ich muß erstmal alles lesen.
Bei einigen Tiernamen auf Deutsch können wir sicher helfen, muß nur zu Hause entsprechende Literatur raussuchen.
Weiterhin viele schöne Beobachtungen und Erlebnisse wünscht Katrin aus dem kalten (minus 5-10Grad) Deutschland.

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