Radtour mit Pannen

Auf nagelneuen Rädern wählen wir gleich nach Passieren des Haupteingangs um kurz nach sieben eine westliche Route, die längere Zeit entlang der von einer hohen Mauer gebildeten Park-Grenze führt. Dahinter ein lärmender sog. Highway und Dörfer, aus denen jetzt ganztägig Musik schallt: Die Heiratssaison hat begonnen. Ashok hat uns die aufwändigen und oft sehr reizvollen Einladungskarten gezeigt, deren Druck ein kleines Vermögen kosten muss und die ihm traditionsgemäß persönlich überbracht werden.

Keinerlei Touristen begegnen uns auf dem mit grobem Schotter befestigten Weg, dafür klapperdürre Einheimische, die enorme Stämme Totholz auf ihren Köpfen balancieren und uns irgendwie schuldbewusst grüßen. Andere verrichten im Gebüsch ihr Geschäft. Obschon der Weg vor allem im Hinblick auf unsere Reifen volle Konzentration erfordert, sehen und hören wir Alexandersittiche, Schwarze Drongos, Bulbuls, roséfarbene Tauben, Indian Rollers und die winzigen, so farbenprächtigen wie schwer zu bestimmenden (und noch schwieriger ordentlich zu fotografierenden) Munias, scheuchen Axis-Hirsche vor uns her, die sich allerdings erstaunlicherweise mit den Indern abgelauschten verhaltenen „Bah-bah-bah“-Lauten beruhigen lassen: Sofort verlangsamen die Tiere dann ihr Tempo, drehen die langen Ohren, wenden die wunderschönen Köpfe erstaunt-neugierig nach uns um und verschwinden erst im Unterholz, wenn wir, auf zwanzig Meter herangekommen, die Kamera zücken. Ohnehin sind im Frühnebel und dem hier ziemlich dichten Laubwald mit nicht wenigen mächtigen Ficus die Lichtverhältnisse ungünstig.

Kleiner Alexandersittich   Indian Roller   Baunliest

Unsere Räder rattern auf dem Schotter, und es währt nicht lange, da will Achim angesichts der dünnen Messingstange, die plötzlich neben seinem Vorderrad pendelt, eilig bremsen, doch zumindest die Felgenbremse fürs Hinterrad verweigert den Dienst: er hat eine wichtige Schraubenmutter verloren. Wir müssen mit Schnur und Gummiband behelfsmäßig besagte Stange am Rahmen befestigen, und Achim hat sich von nun an mit der Vorderrad-Bremse zu begnügen. Nach einem weiteren Kilometer kracht plötzlich sein Sattel rechts runter: eine weitere Mutter ist verschwunden und alles Suchen zwecklos. Die Papageien in den Bäumen lachen sich schier kaputt, als Achim in gereizter Stimmung mit schiefem Sattel weiterfährt.

Morgenstimmung   Silberreiher

Nach einigen weiteren Kilometern aber wird der Weg besser, und endlich schimmert Wasser durch die Bäume. Wir lagern uns, schon um neun einigermaßen erschöpft, unter Akazien in der wärmenden Sonne und beobachten das ruhige, nur hin und wieder von kurzem Zanken unterbrochene Treiben der Wasservögel im Dunst überm See: Graureiher stehen reglos in Ufernähe, und gleichfalls wie erstarrt verharren Paddy-Reiher auf waagrechten Ästen; Silberreiher schreiten vorsichtig einher, durchbohren scharfäugig die Wasseroberfläche zu ihren Füßen und scheuchen immer mal wieder die ihnen dichtauf folgenden rotbeinigen Stelzenläufer; eine Armada schwarzer Enten kreuzt; Löffelenten seihen das Wasser durch ihre breiten, spatelförmigen Schnäbel; überall blitzt das Türkis des Braunliest im Gezweig; auf einem Baum bestandenen Inselchen dösen Damwild und Sambar einträchtig beieinander, und ein mächtiger Steppenadler in einem der Wipfel scheint über sie zu wachen. Andere Adler kreisen hoch am Himmel, doch wir können sie, zumal im Gegenlicht, trotz mehrere Bücher und Broschüren, die wir inzwischen ständig mit uns führen, nicht bestimmen. Die Geschwader von Buntstörchen, die aus Richtung ihrer Kolonie immer mal herüberkommen, sind uns hingegen schon so vertraut wie die Linumer Weißen.

Sambar   Blue-Bull-Antilope

Wir müssen uns losreißen, denn es ist noch eine gehörige Strecke zum Hauptweg zu radeln. Wegen der anderen Route hatten wir keine Gelegenheit, an der 2. Schranke Trinkwasser zu fassen, und anschließend geht’s zurück zum Haupteingang, denn dort sitzt im Lärm und Staub des „Highways“ ein Cycle Wallah, der, kaum dass er unser ansichtig wird, vom Fahrrad des Kunden, den er gerade bedient, ablässt und sich unseres vornimmt: schließlich lockt ein Ausländer-Zuschlag von 100 Prozent! Doch um uns vor der Zuschauer-Menge, die sich im Nu angesammelt hat, nicht zu blamieren, handeln wir ihn nach ohne richtiger Ersatzteile und geeignetem Werkzeug mehr schlecht als recht getaner Arbeit von umgerechnet 40 auf 30 Cent herunter. Nach 500 Metern Rückweg versagt die Bremse abermals, und unser Rickshaw-Guide Kehar, der zufällig des Wegs kommt, richtet sie so her, dass sie wenigstens wieder einigermaßen funktioniert.

Mittlerweile sehr hungrig geworden, geht’s im Eiltempo und unter häufiger Benutzung der Klingel an allen Attraktionen vorbei, die wir diesmal größtenteils schweren Herzens links liegen lassen, und zur Kantine. Nur das Uhu-Nest wird kontrolliert, und wieder sehen wir nur ein Junges, und auch andere Besucher haben uns bestätigt, dass von dem zweiten jede Spur fehlt. Wir befürchten, dass es in einem unbewachten Augenblick einem Beutegreifer zum Opfer gefallen sein muss.

Lunchbreak   Birgit

Nach dem Lunch umrunden wir den südlichen See, dessen Uferbereich von einem breiten Streifen dunkelroter Wasserpflanzen gesäumt wird, die vor einer Woche noch grün waren — Kehar behauptet, es seien Algen — und entdecken auf vier Inselchen jeweils eine sehr große Wasserschildkröte mit schwarzgrauem, glattem Panzer und weit emporgerecktem Hals, dessen Unterseite rötlich bis gelblich schimmerte. Zum Fotografieren sind sie leider zu weit entfernt, ebenso wie z. B. die gänzlich von Streifengänsen besetzte Insel oder die mit den Pelikanen. Auch von den Purpurhühnern wollen wir endlich ein gutes Bild haben, denn ihre Farbe mit dem Smaragdgrün der Flügel lässt sich nur unzureichend beschreiben (wie natürlich jede Farbe...).

Als sich im Gebüsch seitlich des Weges etwas regt, warten wir lange genug, bis der Mungo so dicht herangekommen ist, dass uns eine richtige Großaufnahme gelingt.

Mungo   Seeblick

Und noch zu etwas eher Unappetitlichem: Der Kadaver des Chittal, den wir mit aufgetriebenem Leib auf einer Insel gesehen hatten und plötzlich verschwunden glaubten, haben wir wieder gefunden: Er ist eingefallen, nachdem die Krähen ein Loch hineingehackt haben, und ein schlimmer Geruch legt sich über die ganze Gegend, der freilich nicht nur von diesem einen Kadaver stammt. An verschiedenen Stellen verwesen Tierkadaver vor sich hin. Die paar Ägyptischen Geier zeigen jedenfalls kein Interesse, und auch die Hyänen haben offenbar keine Lust, etwa zu jenem Inselchen rüberzuschwimmen.

Auf dem Rückweg blockiert eine kleine Herde Hausrinder den Pfad, wankt und weicht nicht, und als Achim den Cowboy spielt, gellendes Yippie-Geheul ausstößt und direkt auf sie zuhält, woraufhin sie tatsächlich die Flucht ergreifen —, fällt seine Fahrradkette herunter. Doch zum Glück ist sie so lang und lose, dass wir sie schnell wieder rauf bekommen. Dennoch geraten wir in die Dunkelheit, was seine Tücken hat, denn wie die meisten indischen Räder haben auch unsere kein Licht. So fahren wir auf der Main Road nebeneinander und als eine Rickshaw hinter uns klingelt, will Birgit ausweichen, gerät auf den Seitenstreifen und stürzt...

Weitere Beiträge:
  1. Letzte Tage
  2. Ghanas Ostteil
  3. Brij Mahotsav
  4. Wieder im Park
  5. Bharatpur
  6. Indian Cold
  7. Radtour mit Pannen
  8. Tour mit Kehar Singh
  9. Im Ghana
  10. Jungle Lodge
  11. Der Himmel über Delhi
  12. Es ist soweit!

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Es ist soweit!
Nachdem wir, also die Online-Redaktion des NABU Berlin...
nabu-webbi - 25. Feb, 01:55
Der Himmel über Delhi
Auch hier in Delhi ist’s winterlich kalt. Wenngleich...
nabu-webbi - 25. Feb, 01:53
Die Jungle Lodge
Inzwischen sind wir schon drei Tage in Bharatpur und...
nabu-webbi - 25. Feb, 01:52
Im Ghana
Drei Jahre habe der Monsun nur sehr wenige Niederschläge...
nabu-webbi - 25. Feb, 01:51
Tour mit Kehar Singh
Pünktlich um halb acht holt uns Kehar Singh, unser...
nabu-webbi - 25. Feb, 01:50

Suche

 

Status

Online seit 6807 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 30. Jul, 09:43

Credits


Hintergrund-Infos
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren